neunter Juli 2025
Ein Gefecht gegen Kleid und Pumps?
Ein junger Modeschöpfer schockt die Pariser Haute Couture der 1940er Jahre, es entsteht eine Silhouette, die die Kleider der Damen für die nächsten Jahre prägen soll. Heutzutage bleibt wenig übrig von dieser Fashion-Norm. Sind wir überfordert? - ein Rundumschlag.
Aus Seide, gepunktet, plissiert, gerafft, tailliert, bodenlang, mit Rüschen, Federn, Pailletten oder Streifen. Ein Kleidungsstück verdreht Frau seit Jahrhunderten den Kopf: das Kleid. Immer gut gekleidet, immer zügig angezogen. Und jede Epoche unserer Vergangenheit bringt ihre eigenen Forderungen an das Kleid mit sich. Schließlich trugen alle Frauen des 20. Jahrhunderts das Kleid ihrer Zeit. Ob Kaiserreich, Republik, Jazz bis zum Morgengrauen oder Wirtschaftskrise. Ob Faschismus mit strenger Uniform oder Konsumparadies mit Petticoat. Die Mode macht erfinderisch und das Kleid überlebte alle Phasen.
Christian machts neu
In den späten 1940er Jahren wird etwas angestoßen, was bereits seit Jahrzehnten vergessen schien: Die textile Weiblichkeit. Ein Modeschöpfer belebt dieses Konzept skandalös neu. Sein Name ist Christian Dior. Der „New Look“ ist bereits 1947 eine Zäsur in der Frauenmode. Christian findet: eng soll sie sein, die Taille und weit soll er fallen, der Rock. Geheimnisvoll strahlt das zarte Gesicht hinter einem dramatischen Hut-Ensemble. Dior, der erst ein Jahr zuvor sein Unternehmen „Christian Dior S.A.“ gründete, gelang mit seiner ersten Kollektion ein Paukenschlag. Die Pariser Haute Couture geriet in Rage. Der Mythos besagt, dass die damalige Harper‘s Bazaar Chefredakteurin Carmel Snow Dior nach der Modenschau am 12. Februar 1947 zusteckte „your dresses have such a new look“. Und so wurde das sinnliche Kleidungsstück nach Jahren des Krieges neuaufgelegt. Das Kleid mit schmaler Taille und weit fallendem Tellerrock war eine Ansage gegen das emanzipierte, kastenförmige Kleid der androgynen 20er. Nicht zuletzt forderte der neue Stil auch das hochgeschlossene Wollkostüm der 1940er Jahre heraus.
Der New Look war eigentlich nicht neu, er ist eine Hommage an die Romantik, an Tradition, an die Königshäuser und an das vergangene Jahrhundert. Seine Silhouette ließ das Unternehmen Christian Dior zum Meinungsmacher der kommenden Saisons heranwachsen. Franz Christian Gundlach, ein Modefotograf der 50er Jahre, spricht in einem Interview mit Alise Ehlert über Diors Fashion Diktat. Auf die Frage, wie er die Mode der 1950er Jahre wahrnimmt, sagt er 2010: „Ich habe damals oft die französischen Haute-Couture-Kollektionen fotografiert. Christian Dior hat mit seinem "New Look"- ich nenne ihn immer die modische Beendigung des Zweiten Weltkrieges- den entscheidenden Impuls gegeben. Die erzwungene Uniformität konnte abgelegt werden, die Frauen wurden mit den weiten Röcken und schmalen Taillen wieder sehr feminin."
Was Frankreich kann, kann Deutschland schon lange, so schien es. Denn bereits einige Monate später kam der New Look auch in die C&A Filialen des vom Krieg gezeichneten Landes. Gegründet wurde das Unternehmen im Jahre 1841, zwanzig Jahre später gab es dort Damenbekleidung zu erwerben. In den 1950er und 60er Jahren spezialisierte sich der Konzern dann auf die Konfektionsware. C&As Designer lieferten Entwürfe ähnlich zu der sündhaft teuren Haute Couture Pariser Designer wie Coco Chanel, Christian Dior oder Yves Saint Laurent. Die deutsche Frau möchte schließlich genauso verführerisch daher gleiten wie eine Parisienne oder eine kurvige femme fatale. Diese Sehnsucht nach dem Pariser Chic schlägt sich auch in lokaler Berichterstattung nieder.
Das Gefecht gegen Kleid und Pumps
1949 veröffentlichte die Rhein-Neckar Zeitung einen Beitrag zum Pariser Modezirkus. In der RNZ-Ausgabe vom 18. März beschreibt ein Redakteur unter dem Titel „Pariser Modebericht“ die Anforderungen an das moderne Kleid. Die Taille werde nun eng und rutsche höher, der Rock komme oben schmaler und unten fallend daher. So fasst er zusammen, wie sich die modische feine Dame Frankreichs zu kleiden vermag. 1953 folgte auf den „New Look“ die von der Bevölkerung und Presse häufig als „Shock Look“ bezeichnete Weiterentwicklung. Die Saumlänge hebt sich nun um weitere 40 cm. Die RNZ berichtet auch hier. Wir sehen, Heidelberg war also für seine Leserinnen und Leser stets am Zahn der (modischen) Zeit.
Gegenwärtig wohnt die Qual der Wahl fest in den Kleiderschränken unseres Landes. Die Frage danach, in was sich Frau einkleidet, scheint heutzutage größer als eh und je. Die textilen Auswahlmöglichkeiten sind für uns schier unendlich. Noch dazu kommt schnelllebige Onlinemode aus dem fernen Osten, per DHL versandte Gebrauchtkleidung und sündhafte Fehlkäufe, erworben in sanierungsbedürftigen Einkaufszentren der Bundesrepublik. Alle streiten sie sich um die Aufmerksamkeit ihrer Träger und um die Bügel im Schrank. Paradox ist jedoch, dass die Optionen in hundertfacher Form im Pax Schrank hängen, und doch tragen alle das Gleiche. Zugegebenermaßen eine recht zynische Sicht auf die deutsche Fashion-Situation. Doch blickt man auf die Preise für „Mode“, die vor der Konfektionsware einer Investition und der Beschäftigung eines Schneiders verlangten, merkt man heute: vor allem billig soll sie sein. Für den schmalsten Taler können wir uns von Kopf bis Fuß einkleiden (mit Abstrichen in Sachen Ethik und Moral) und doch sind es die Jeans und die Sneaker, die jeden Morgen das bitterliche Gefecht gegen Kleid und Pumps und Anzug und Krawatte gewinnen. Bequemlichkeit, ist hier das häufigste Argument. Bequeme Schuhe, ein Hoodie und ein bequemer Rucksack. Daran ist nichts falsch. Es ist nur erstaunlich, dass wir heutzutage alle Freiheiten haben, wie wir uns kleiden möchten. Dabei scheint es so, als gebe uns die Freiheit aber vor allem eines: blanke Überforderung. In jüngster Zeit sind es erst die 2000er, dann die 2010er Jahre, die erneut en vogue sind. Bekannt ist spätestens seit dem Leo-Print oder Schlaghosen Comeback: alles in der Mode kommt wieder.
Aber Christian, wann kommt es denn wieder, das Kleid?